„Wer wächst, muss seine Prozesse nachziehen.“

27. November 2015

Compliance ist gerade in Wachstumsphasen ein stark unterschätztes Thema, das erst allmählich ins Bewusstsein rückt, so die Erfahrung von Rechtsanwältin Anna Arnhold aus der Kanzlei BHVSM Bremer Heller Rechtsanwälte. Als Expertin für Compliance Management berät sie Unternehmen, damit Prozesse rechtskonform gestaltet und Regelverstöße vermieden werden können.

Christine Frühauf: Frau Arnhold, Wachstum ist für Unternehmen lebenswichtig und gilt als Ausweis unternehmerischen Erfolgs. Als Compliance-Expertin kennen Sie auch die Gefahren, die in Wachstumsphasen auftreten können. Welches sind denn typische Rechtsrisiken für wachsende Unternehmen?

Anna Arnhold: Beim Thema Compliance geht es darum, Risiken aufgrund von Regelverstößen zu vermeiden. Gerade in Wachstumsphasen sind folgenreiche Fehler schnell passiert: Mitarbeiter sind überlastet oder noch nicht ausreichend eingearbeitet. Vielfach fehlt es an Transparenz in den Abläufen, oder ganz schlicht an der Zeit, um die Dinge mit der nötigen Sorgfalt anzugehen. Wenn daraus Rechtsverstöße resultieren, kann es teuer werden! Typische Beispiele sind Bußgelder oder Regressforderungen – oder auch Image-Schäden, die ein Unternehmen nach Verstößen gegen Arbeits- oder Umweltstandards erleidet. Inhabern und Geschäftsleitern droht zudem die persönliche Haftung wegen Organisationsverschuldens.

Für welche Unternehmen ist das Thema Compliance relevant?

Grundsätzlich sind alle Unternehmen verpflichtet, sich an Regeln und Gesetze zu halten – das ist ja selbstverständlich. Hinsichtlich eines systematischen Compliance-Managements unterliegen Aktiengesellschaften und Finanzinstitute einer konkreten Rechtspflicht, während z.B. das GmbH-Recht hier sehr viel vager bleibt. Gleichwohl überträgt die Rechtsprechung gesetzliche Vorgaben oft auf andere Rechtsformen, um die dort vorhandenen Generalklauseln mit Leben zu füllen. Auf diese Weise werden auch für die GmbH und andere Rechtsformen ähnliche Compliance-Pflichten begründet.

Letztlich ist das Thema für alle Unternehmen wichtig, lediglich die konkrete Ausgestaltung richtet sich nach Branche, Größe und Struktur. Das Compliance-System muss zur Unternehmensstruktur passen.

Welche Unternehmensbereiche bergen besondere Compliance-Gefahren?

Ein besonders häufiges Beispiel aus meiner Praxis ist das Vertragsmanagement, das in vielen Unternehmen nicht ausreichend transparent und nachvollziehbar geregelt ist: Herausfordernd ist vor allem, das Nachtragsmanagement übersichtlich zu gestalten, Scan- und Papierdokumente sinnvoll zu verwahren sowie Standardverträge und AGB auf dem aktuellen Stand zu halten. Gerade in diesem Bereich können durchdachte Standards den Mitarbeitern doppelte Arbeit ersparen. Kompakte, aber wiederholte Schulungen können außerdem Risiken vermeiden, die aus Unwissenheit entstehen. Dass Verträge auch mündlich wirksam zustande kommen und ein handschriftlicher Zusatz auf einem Vordruck grundsätzlich vollwertiger Vertragsbestandteil wird, ist vielen Vertrieblern nicht bekannt. Das hat weitreichende Folgen, lässt sich aber durch Schulungen schnell in den Griff kriegen.

Können an Wachstum auch gesetzliche Konsequenzen geknüpft sein?

Wie schnell das Thema Compliance für wachsende KMU relevant werden kann, zeigen folgende Praxisfälle: Ein Unternehmen tritt in einen neuen nationalen Markt ein und versäumt es, sich mit den dortigen Regularien ausreichend zu beschäftigen. Durch einen US-amerikanischen Joint-Venture Partner kann man z.B. in den Anwendungsbereich des strengen Sarbanes-Oxley-Act „hineinrutschen“.

Ein anderes Unternehmen baut seine Marktposition stark aus und unterliegt nun, ohne sich dessen bewusst zu sein, anderen rechtlichen Vorgaben. Solche Rechtsfolgen können sich übrigens auch im Falle von Kooperationen ergeben, wenn der Partner überproportional wächst. Das folgt aus dem Kartell- und Wettbewerbsrecht.

Was empfehlen Sie wachsenden Unternehmen ganz konkret?

Ganz allgemein gesprochen: Wer wächst, muss seine Prozesse nachziehen!

Mit der Größe ändert sich oft der Spezialisierungsgrad einzelner Abteilungen, es entstehen unterschiedliche Team-spezifische Gepflogenheiten. Das muss nichts Schlechtes bedeuten. Dennoch empfehlen sich in vielen Punkten gemeinsame Standards, damit nicht jeder das Rad neu erfinden muss.

Ein konkretes Einstiegsprojekt, um ein gemeinsames Bewusstsein bezüglich Compliance zu fördern, ist die Erarbeitung eines übergreifenden Compliance-Kodex, in dem gemeinsame Werte definiert und praktische kurze Handlungsprinzipien entwickelt werden.

Zudem empfiehlt sich die Benennung eines Compliance-Beauftragten, der Führungskräfte und Mitarbeiter für das Thema sensibilisiert und sie dabei unterstützt, die richtigen Maßnahmen zu treffen. Diese Rolle kann auch extern übernommen werden. So werden Personalressourcen geschont und mögliche Rollenkonflikte vermieden. Es muss nicht immer eine Vollzeitstelle oder eine Dauerberatung sein. Auf einander aufbauende gezielte Seminare sowie moderierende Begleitung spezifischer Projekte sind für viele Unternehmen das richtige Format.

Compliance ist und bleibt aber vor allem eine Führungsaufgabe. Jede Führungskraft hat dafür zu sorgen, dass alle Mitarbeiter wissen, welche rechtlichen Vorgaben im eigenen Arbeitsbereich gelten und welche Rechtsrisiken bestehen. Dieser „tone from the top“ Ansatz kann gut mit einem „bottom up“ Vorgehen kombiniert werden, wenn es an die handfeste Gestaltung der Prozesse geht. Holen Sie diejenigen mit ins Boot, die später die geänderten Arbeitsprozesse durchführen sollen.

Compliance ist nach Ihrer Ansicht weit mehr als ein juristisches Thema – warum?

Erfolgreiches Compliance-Management hat vor allem mit Kommunikationskultur und Konfliktkompetenz zu tun. Nur wer Regeln versteht, kann sie einhalten.

Prozesse sollten nicht nur rechtssicherer werden, sondern gleichzeitig das Leben leichter machen – dann wird Compliance gut angenommen. Ein wichtiges Ziel von Compliance-Managern sollte daher immer sein, den nachhaltigen Geschäftserfolg zu unterstützen. Ein Wust an Regularien führt schnell zu Gleichgültigkeit bei den Mitarbeitern gegenüber Regeleinhaltung – nicht aus Böswilligkeit, sondern aus Überforderung.

Es geht auch darum, interne Interessenskonflikte (z.B. zwischen Compliance- und Vertriebszielen) zu moderieren und die Perspektiven der verschiedenen Fachabteilungen zu berücksichtigen. Umgang mit Regelverletzungen bedeutet stets auch Umgang mit Konflikten.

Liebe Frau Arnhold, ich bedanke mich sehr für das Gespräch!

Foto Anna Arnhold

Anna Arnhold ist Rechtsanwältin, Volkswirtin und Wirtschaftsmediatorin bei der Kanzlei BHVSM Bremer Heller in Hamburg. Ihre Schwerpunkte sind das Handels- und Gesellschaftsrecht und die Compliance-Beratung.


Wachstum mit Struktur